Frigga Haug

Warum ich den 0ffenen Brief zur Arbeitszeitverkürzung nicht unterschreibe

Den „Offenen Brief zur Arbeitszeitverkürzung an die Vorstände von Gewerkschaften, Parteien, Sozial- und Umweltverbände und Kirchenleitungen in Deutschland“ habe ich nicht unterschrieben, obwohl ich seit langem für eine radikale Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit streite. So sehr ich diese Verkürzung als Voraussetzung für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen halte, sowenig halte ich es für angemessen, immer wieder eine Gleichsetzung von Lohnarbeit und Arbeit zu unterstellen, andere Arbeitsformen auszublenden und so mit der Verkürzung der Lohnarbeitszeit die gesamten Schieflagen graderücken zu wollen.

Die mit den "anderen" Formen der Arbeit zusammenhängenden Fragen – die Vernachlässigung von Kindern, Alten, Kranken, Behinderten und des menschlichen Zueinanders -, die fortdauernde Frauenmarginalisierung, die politische Entmündigung der Menschen und die Chancenlosigkeit der Vielen werden sich nicht von selbst lösen. Ich halte es für richtig, darauf zu insistieren, dass die Verkürzung der Lohnarbeitszeit eine Voraussetzung für eine Politik gegen Erwerbsarbeitslosigkeit ist. Diese aber muss eingebettet werden in eine alternative Vorstellung von gutem Leben.

Die einseitige Konzentration auf die Erwerbsarbeit wird den Herrschaftsknoten, der diese kapitalistische Gesellschaft zusammenhält, eher fester zurren als auflösen. Mit meinem Projekt, die Vier-in-Einem-Perspektive als Politik vorzuschlagen, ist der Aufruf unvereinbar.

Man wird fragen, warum ich nicht in der Initiative mitgemacht habe und meine Einwände beizeiten zugunsten eines gemeinsam möglichen Aufrufs vorbrachte. Ich habe genau dies getan. Ich sprach im Ratschlag in Hannover mit viel Zustimmung. Ja, ich hatte den Eindruck, dass diese Einwände produktiv ins Konzept eingegangen waren. Ich protestierte gegen den nächsten Entwurf, in dem sie kaum noch erkennbar waren. Jetzt im letzten Offenen Brief sind sie ganz verschwunden. So gewinnt man keine Kämpfe um politisch-kulturelle Hegemonie.

Frigga Haug, Los Quemados, 15.12.12